Flug 327
„Ok, ein Bier noch, aber dann habe ich die Schnauze voll,“ sagte ich so mehr zu mir selbst.
Seit einer Stunde saß ich hier und wartete auf meinen Gesprächspartner. Ich hatte meine Geschichte sorgfältig recherchiert, die Fakten stimmten zwar, waren logisch, waren interessant, nur die letzte Bestätigung eines unmittelbar Beteiligten fehlte mir noch. Die sollte ich heute bekommen, aber der Typ war bisher nicht erschienen. Ohne diese Aussage war meine Geschichte relativ wertlos. Ich konnte sie nicht beweisen.
Die Tage auf dieser Insel waren ganz angenehm gewesen, keine Frage, aber ohne Bestätigung meiner Erkundigungen konnte ich diese Geschichte nicht veröffentlichen. Ich versuchte zum wiederholten Male den Mann telefonisch zu erreichen. Zwecklos. Er hatte wohl kalte Füße bekommen. Es war unwahrscheinlich, dass er noch kommen würde.
Ein paar Tische entfernt von mir saß ein Mann und beobachtete mich. Ich hatte ihn gestern schon bemerkt. Als ich meine Unterlagen frustriert zusammen packte und in die Tasche steckte, stand er auf, kam an meinem Tisch und fragt ob er sich zu mir setzen dürfe.
„Bitte“, sagte ich nur. Anscheinend etwas mürrisch. Klar, ich war auch schlecht gelaunt.
Er setzte sich mit den Worten:
„Ich möchte aber nicht stören“.
Ich nickte nur und wies auf einen Stuhl.
„Ich vermute Sie sind Journalist,“ begann er die Unterhaltung.
„Mein Name ist Christian Walker. Sie können mich Chris nennen. Sie haben sicher bemerkt, dass ich Sie beobachtet habe. Auch gestern schon. Ich suche einen Journalisten, dem ich eine Geschichte erzählen kann. Haben Sie Interesse an einer Geschichte?“
„Das ist eine ziemlich überflüssige Frage,“ antwortete ich.
„Schließlich leben wir Journalisten von Geschichten. Und am liebsten von spannenden Geschichten, die bisher noch keiner kennt.“
Auch ich stellte mich vor:
„Christiansen, Joachim Christiansen.“
Er setzte sich umständlich.
Chris war ein groß gewachsener Mann, ich schätzte ihn auf Mitte fünfzig, mit lockigem grauen Haar. So ein Frauentyp, dachte ich spontan. Auffallend war allerdings seine fahle Gesichtsfarbe und seine eingefallenen Wangen, und das in diesem sonnenverwöhnten Land. So ganz gesund sah er nicht aus. Alkohol? Das war mein erster Gedanke. Er war leger aber durchaus elegant gekleidet. Eher Designerkleidung als aus dem Warenhaus.
Seine Aussage elektrisiert mich natürlich. Eine neue Geschichte? Wo ich doch meine letzte in den Müll werfen musste.
„Ich hätte eine für Sie,“ sagte er und schaute mir unverwandt ins Gesicht.
„Eine Geschichte, die noch niemand kennt, die Sie umgehend weltweit auf die erste Seite in allen Medien bringen würde. Allerdings stelle ich einige Bedingungen.“
Ich griff nach meinem Bier. Jetzt vorsichtig sein und nichts falsch machen.
„Welche Bedingungen meinen Sie?“
„Vorher ein paar Fragen an Sie,“ sagte er.
„Kennen Sie sich in der Luftfahrt aus? Können Sie schweigen? Sind Sie bereit, sich strikt an unsere Abmachungen zu halten?“
„Die Fliegerei interessiert mich sehr, ich hatte früher selbst mal ein kleines Flugzeug, insofern auch einen Pilotenschein und deshalb bin ich immer noch an Berichten über die Luftfahrt interessiert und verfolge sie. Zu Ihren anderen Fragen, wenn ich eine Abmachung treffe, selbstverständlich auch mündlich, da können Sie sich hundertprozentig auf mich verlassen. Das war und ist auch heute noch ein Grundsatz meiner Arbeit. Wenn sich einmal herumspricht, dass ich mich nicht an Abmachungen halte, dass man sich auf mich nicht verlassen kann, dann kann ich einpacken.“
„Ok“ sagte er
„Bedingung Nummer eins, Sie dürfen diese Geschichte vorläufig niemanden erzählen und Sie dürfen sie erst dann veröffentlichen wenn ich nicht mehr lebe. Warum werden sie verstehen, wenn Sie die Geschichte kennen. Ich werde Ihnen dafür alle Rechte übertragen. Und bevor Sie diese Frage stellen, sie liegt natürlich auf der Hand, ich verlange dafür kein Geld sondern nur, dass Sie die ganze Geschichte so veröffentlichen wie ich sie Ihnen erzähle.“
„Könnte schwierig sein,“ entgegnete ich.
„Ich denke ich bin gut 10-15 Jahre älter als Sie. Insofern sind meine Chancen die Sache zu publizieren, nicht sonderlich gut.“
„Richtig,“ sagte er,
„es gibt allerdings eine Sache, die Sie nicht wissen können. Mein Arzt hat mir vor Kurzem gesagt, ich hätte noch 4-5 Wochen zu leben. Das wäre es dann. Heilungschancen gibt es keine. Aber damit habe ich mich auch abgefunden.“
„Das heißt, ich schreibe Ihre Lebensbeichte auf?“
„Könnte man so sagen, allerdings nur die letzten sechs Jahre. Die andere Zeit ist ohnehin ziemlich uninteressant,“ setzte er hinzu.
„Einverstanden?“
„Einverstanden“, sagte ich und reichte ihm die Hand über den Tisch.
„Vorher würde ich Ihnen dort gerne noch einmal auf den Zahn fühlen und ihr Wissen testen. Was sagt Ihnen Flug 327?“fragte er.
Bei mir klingelten alle Alarmglocken. Flug 327, das war doch? Vor sechs Jahren? Ich hatte alle Bericht über das Verschwinden dieses Flugzeuges sorgfältig verfolgt, im Grunde bis heute. Die Öffentlichkeit hat das Thema längst abgehakt. Ich schaute von Zeit zu Zeit noch einmal im Internet nach, ob es neue Erkenntnisse gab, aber mir waren die bisherigen Untersuchungsergebnisse nicht einleuchtend. Ich hatte mir meine eigenen Lösungsversuche gemacht. Und jetzt hier plötzlich so eine Frage? Mein Gegenüber beobachtete mich aufmerksam ohne eine Miene zu verziehen.
„Natürlich sagt mir Flug 327 etwas. Ich hab mich damals sehr intensiv mit dem Thema befasst. Auch weil ich wahrscheinlich ein halbes Jahr vorher schon mal in dieser Maschine gesessen habe. Damals auf einem Flug von KL nach Bali. Ich war ursprünglich der Überzeugung, dass es sich hier um einen Unfall bei einem militärischen Manöver handelte, das man selbstverständlich mit allen verfügbaren Mitteln verschweigen wollte.
Dann habe ich mir das Buch eines ehemaligen Flugunfallermittlers besorgt, der die gefundenen Wrackteile sehr genau untersucht hat und habe es sehr aufmerksam studiert. Seine Überlegungen, dass das Flugzeug nicht abgestürzt, sondern bewusst auf dem Wasser gelandet wurde, hat mich überzeugt. Das war sehr sorgfältig recherchiert. Wobei natürlich dann sofort die Frage auftaucht, warum. Wer fliegt stundenlang über das Meer, wenn er sich umbringen will? Da ist doch die Sache mit dem Flug von Germanwings viel einleuchtender. Der Pilot steuerte gegen einen Berg und fertig. Und noch etwas fiel mir dabei auf, es wurde nie darüber gesprochen, dass der oder die Piloten überlebt haben könnten. Dass das möglich ist, hat ja die Landung von Pilot Sullenberger auf dem Hudson bewiesen. Soweit meine Überlegungen.“
Mein Gegenüber schwieg eine ganze Weile.
„Gut überlegt,“ sagte er.
Dann setzte er sich aufrecht hin und sagte:
„Mein richtiger Name ist Malcolm Stanley Mortimer. Ich war der Pilot des Fluges 327 auf dem Weg von Singapur nach Peking, genau heute vor vor sechs Jahren.“
Schweigen.
188 Seiten Paperback 8,50 €