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Khwai si Dam
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Flug 327

 

Khwai si Dam

1. Tag der offenen Tür

 

 

Oh du mein Buddha, du Erleuchteter“,

tönte die Stimme Abtes durch die Halle.

Du, der du uns lehrst wie wir zu leben haben“.

Die Gläubigen saßen dichtgedrängt zu seinen Füßen und lauschten seinen Worten. Nun ja, so ganz andäch­tig lausch­ten sie doch nicht. Etwas Flüstern mit der Nachbarin, dem Kollegen noch etwas mitteilen, die Reste vom Essen aus den Zähnen popeln, nach den letzten E-Mails schauen, Kinderlachen, die eingeschla­fenen Beine strecken, alles war anscheinend erlaubt und wurde als ganz normal angese­hen. Der Text war auch unwichtig, niemand wollte ihn wirklich hören, man war dabei und würde auch den Segen am Schluss erhalten. Nur darauf kam es letztlich an.

Die Halle war heute übervoll, auch draußen unter den schattigen Bäumen hockten noch viele die drinnen keinen Platz mehr fanden. Hier wurde die Andacht noch lockerer gesehen. Man saß in kleinen Kreisen zu­sammen, plauderte und ließ sich die Speisen schme­cken, die fleißige Frauen unten am Strand gekocht hatten.

Normalerweise lebten auf dieser kleinen Insel nur Mönche, Frauen waren somit absolut tabu. Aber heute war, wie ein­mal in jedem Jahr, der Zugang frei für je­dermann. Schon vom frühen Morgen an fuhren die Longtails kostenlos die Besucher vom Ort zur Insel. Dort wurde gekocht, gegrillt, Salate zubereitet, Ge­tränke ausgeschenkt. Alles Spenden und alles für je­den kostenlos zu haben. Thais essen gerne und lust­voll. Hier in dieser lockeren Atmosphäre, im Krei­se von Freunden und Verwandten besonders gern. Da stör­ten auch die Worte des Abtes nicht, zumal die Lautspre­cher ohnehin nicht zu überhören waren.

Abt Suriban hatte die Augen geschlossen, hielt aber trotz­dem sein heiliges Buch vor das Gesicht. Er hatte den Text wohl tausendmal und mehr rezitiert, brauch­te kein Buch mehr. Aber es gehörte halt zum Ritual das er aus dem Buch vorlas. An seiner Stimme merkte man das er den Text selbst gar nicht hörte. Sie war ab­solut gleichmäßig, um nicht zu sagen monoton. Er hockte auf einem kleinen Po­dest, etwa zwei handbreit über dem Hallenboden, die Gläubigen saßen direkt auf den Fliesen, jedoch mit respekt­vollem Abstand zu ihm. Die Sitte und der Anstand gebietet es, immer un­terhalb der Augen des Mönches zu sein. Un­möglich im Stehen, also von oben herab auf ihn zu blicken. Selbst wenn man sich ihm näherte, und das kam im­mer vor wenn man besondere Wünsche an Buddha hatte, die er weiterleiten sollte oder auch wenn drin­gende Fragen über den weiteren Verlauf des Lebens geklärt werden mussten. Dann rutschte man auf dem Boden hockend zu ihm hin oder zumindest in tief ge­bückter Haltung. Suriban war hochgeachtet und man suchte sehr gerne seinen Rat, wenn man nicht mehr wusste wie es weitergehen sollte im Leben.

 

Die zwölfjährige Noi sah es zuerst. Sie stieß ihre Mut­ter an und deutete in Richtung des Podestes. Doch Mutter war nicht ganz bei der Sache, dachte an andere Dinge und winkte ihrer Tochter still zu sein. Diese wand sich an ihre, hinter ihr sitzende Freundin und beide starrten nun auf die Ecke des Podestes aus der etwas hervorquoll. Nun bemerk­ten es auch andere Gläubige. Aus dem Podest rann ganz langsam eine Flüssigkeit. Es war nicht sehr hell in der Hal­le, nur das Glitzern der sich bewegenden Flüssigkeit war deutlich zu sehen. Jetzt war der feuchte Fleck nur so groß wie ein Teller, wuchs aber unaufhörlich. Gemur­mel wurde laut. Die vorne Sitzenden rückten etwas zurück, wurden aber durch die dahinter hockenden gebremst. Man saß hier schließlich dicht gedrängt.

Der Fleck war jetzt fast einen Meter groß, breitete sich aber stän­dig weiter aus. Die ersten Leute standen auf und lie­fen gebückt zur Seite, hinten sitzende schoben sich nach vorne, wollten sehen was vor sich ging.

Abt Suriban rezitierte unverdrossen seinen heiligen Text mit geschlossenen Augen. Schon standen Perso­nen auf, gingen nach vorne, scherten sich nicht um Anstand und Sitte, wollten wissen was passierte. Auch sie konnten sich auf die sich ausbreitende Flüs­sigkeit keinen Reim machen. Als der Rand der Pfütze einen Sonnenflecken auf dem Bo­den erreichte, sah man das sie dunkelrot war, dunkelrot wie Blut.

 

Ein groß gewachsener Mann drängte sich nach vorne, teilte die Menschenmassen energisch mit seinen Hän­den. Nie­mand kannte ihn. Er war unauffällig geklei­det mit einem langärmeligen Allroundshirt und knie­langen blauen Jeans. Er stellte sich neben den roten Fleck, betrachtete ihn, lachte kurz höhnisch und steck­te dann zwei Finger in die Flüssigkeit, zerrieb sie zwi­schen Daumen und Zeigefinger, wie um so die Kon­sistenz zu prüfen. Doch augenblicklich begannen sich die Finger auf zu lösen. Lösten sich in Nichts auf. Zu­erst die Finger, dann die Hand. Der Fremde starrte mit weit aufgerissenen Augen auf seine Hand, wortlos sah er zu wie sie verschwand. Schon baumelte der Är­mel seines Shirts lose an ihm herunter. Er machte einen unbeholfenen Schritt nach vorne, direkt hinein in die rote Flüssigkeit. Dann sackte er nach vorne und wenig später lagen nur noch seine Kleidungsstücke auf dem Boden, er selbst war verschwunden.

Schreiend drängte die Versammlung der Gläubigen zu den Ausgängen. Auch Suriban hatte aufgehört zu rezitie­ren. Seine Augen waren allerdings immer noch ge­schlossen.

 

Diese Buch ist erhältlich im Buchhandel und im Internet unter:

ISBN 9783744893572    Paperback, 160 Seiten, 6,99 @